27.06.2024 | Webmagazin 2024/03 Finanzielle Risiken bei der Wärmewende erkennen und steuern

Ganzheitliche Planung als Lösungsansatz für Energieversorger Daniel Thies | Dr. Hendrik Kondziella
daniel.thies@bet-energie.de

Zahlreiche Kommunen und Energieversorger verfolgen ehrgeizige Ziele hin zur Klimaneutralität. Mit der kommunalen Wärmeplanung wird deutlich, mit welchen notwendigen Investitionen im Wärmebereich und in den Stromnetzen zu rechnen ist. Gleichzeitig ist die Zukunft der Gasnetze ungewiss. Für integrierte Energieversorger erwächst daraus die Herausforderung, die Transformation segmentübergreifend umzusetzen. Aus Sicht des Unternehmens kann die wirtschaftliche Tragfähigkeit durch die Einführung einer ganzheitlichen Langfristplanung sichergestellt und gesteuert werden. 

Mit dem zum Anfang dieses Jahres in Kraft getretenen Wärmeplanungsgesetz (WPG) wurde eine neue Dynamik im Bereich des kommunalen Klimaschutzes eingeläutet [1]. Bestehende Klimaschutzkonzepte werden nun in den nächsten vier Jahren mit konkreten Wärmeplänen untersetzt und u.a. potenzielle Ausbaugebiete von Wärmenetzen ausgewiesen. Damit soll ein wesentlicher Beitrag des Wärmesektors zur Erreichung der nationalen Klimaschutzziele erreicht werden. 

Robuste Trends erkennen

Unsere Erfahrung aus bisherigen Transformationsprojekten zeigt, dass Kommunen und die mit dem Betrieb der Infrastrukturen betrauten Energieversorgungsunternehmen (EVU) mit der Wärmeplanung umfassende Neuausrichtungen in weiteren Geschäftsfeldern auslösen. Unter Berücksichtigung aktueller Langfristszenarien kann davon ausgegangen werden, dass mit dem Ausbau der leitungsgebundenen Wärmeversorgung substanzielle Rückwirkungen auf die Gasnetze verbunden sein werden. Darüber hinaus werden in solchen Stadtteilen, die aus rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten planmäßig nicht an ein Wärmenetz angeschlossen werden, Wärmepumpen den Hauptteil der Wärme bereitstellen. Die kommunale Wärmeplanung nimmt dadurch neben dem Wärmenetzausbau ebenfalls direkten Einfluss auf den erforderlichen Ausbau der Stromnetzinfrastruktur, um der zukünftigen Versorgungsaufgabe gerecht werden zu können. Darüber hinaus stellt sich die Frage nach dem Umgang mit der Gasnetzinfrastruktur. Ein Erhalt und Weiterbetrieb des Gasnetzes für etwaige Restmengen könnte zu prohibitiv hohen Kosten der verbliebenen Gaskundinnen führen, sodass in einigen Fällen von einer Stilllegung des Gasnetzes auszugehen ist [2]. Wasserstoff wird zwar zunehmend an Bedeutung gewinnen, wird aber aus heutiger Sicht nicht vollständig den heutigen Erdgastransport substituieren. Festzuhalten ist, dass der Wärmenetzausbau unweigerlich einen starken Einfluss auf die kommunale Gasnetz- sowie Stromnetzinfrastruktur haben wird. 

Abbildung 1: Exemplarische Trends für ausgewählte Endenergieträger in Klimaschutzszenarien.

Diese Entwicklungen stellen vor dem Hintergrund der nationalen Klimaschutzziele robuste Trends dar, die sich jedoch in ihrer lokalen Ausprägung durch die Gewichtung der Endenergiesektoren (Haushalte, Industrie, Gewerbe/Handel/Dienstleistungen) unterscheiden können. Sobald sich das Zielbild der Absatzpotenziale für die leitungsgebundenen Energieträger quartiersscharf abzeichnet, sind die folgenden Fragen zu klären:

  • In welchem Zeitraum soll die Transformation abgeschlossen sein?
  • Bildet die bestehende Unternehmensplanung die langfristigen Zielbilder ab?
  • Werden unterschiedliche Pfade zur Zielerreichung in Form von Szenarien geplant?
  • Welche Rolle kann Wasserstoff im lokalen Energiemix spielen?

Langfristige Unternehmensplanung durchführen

Viele Energieversorger kommen aus einer Situation mit einem stabilen Geschäft in den traditionellen Sparten (Strom- und Gasvertrieb sowie Netzbetrieb), sodass die Ausschüttungsfähigkeit an die Gesellschafter konstant gewährleistet war. Die o.g. Trends werden jedoch absehbar zu signifikanten Veränderungen in bestehenden Geschäftsmodellen und somit Ergebnisentwicklungen führen. Das in der Vergangenheit gewohnt stabile Geschäft hat es den Versorgern erlaubt, den Planungszeitraum auf drei bis max. fünf Jahre zu beschränken. Die Auswirkungen auf bestehende Geschäftsmodelle werden jedoch erst jenseits dieser Phase spürbare Effekte generieren. Energieversorger müssen daher diese Veränderungen schon heute in ihren Infrastrukturentscheidungen antizipieren und bei der Bewertung der Wirtschaftlichkeit ebenfalls mit längerfristigen Amortisationszeiten rechnen. Erst die Verzahnung der Unternehmensstrategie mit einem langfristigen Planungsprozess liefert eine robuste Bewertung der Nachhaltigkeit des Transformationspfads im umfassenden Sinne.

Ausgangspunkt einer strategischen Langfristplanung stellen regionalisierte Energieszenarien dar, die Rückschlüsse auf Absatzprognosen für Strom, Gas und Wärme erlauben. Dementsprechend werden die Investitionsbedarfe ganzheitlich und konsistent für jedes Segment über den gesamten Planungszeitraum abgeleitet. In einem integrierten Finanzmodell - bestehend aus Unternehmensbilanz, Gewinn- und Verlustrechnung sowie Kapitalflussrechnung - werden Prognosen zum Investitionsbedarf und zur Ergebnisentwicklung sämtlicher Geschäftsfelder zusammengeführt, um auf Gesamtunternehmensebene die notwendigen Rückschlüsse auf Ausschüttungsfähigkeit, Finanzierungs- sowie Kapitaleinbringungsbedarfe abzuleiten.

Abbildung 2: Strukturierter Prozess zur Überführung von regionalisierten Energieszenarien in die Businessplanung der Geschäftsfelder 

Im Zieldreieck der Finanzierung bestehen

Vor dem Hintergrund der o.g. Trends und unter Berücksichtigung der getroffenen strategischen Entscheidungen können bestimmte finanzielle Effekte zu einem Szenario verdichtet werden:

  • Der Ergebnisbeitrag (EBIT) aus dem Gasvertrieb sowie Gasnetzbetrieb reduziert sich langfristig bis auf Null, Strom- und Wärmeabsatz können bei entsprechendem Ausbau der Wärmenetze den Rückgang mittelfristig langfristig ausgleichen.
     
  • Der Kapitalbedarf für den Aus- und Umbau der Infrastruktur steigt in vielen Geschäftsfeldern zu Beginn des Planungszeitraums deutlich an.
     
  • Der Kapitalbedarf kann zumeist nicht rein aus der Innenfinanzierung über die operativen Cash-Flows bedient werden, sodass auf Gesamtunternehmensebene eine Finanzierungslücke entsteht. Die anfänglich negativen Cash-Flows machen auf notwendige Zuschüsse von Eigenkapital aufmerksam. 
     
  • Diese Finanzlücke ist in dem Maße durch Eigen- und Fremdkapital oder Thesaurierung zu füllen, dass die Tragfähigkeit der Kapitalstruktur mit Blick auf wichtige Kennzahlen wie dynamische Verschuldungsgrade oder Eigenkapitalquoten gewährleistet bleibt.
     
  • Die strategische Langfristplanung zeigt auf, ab wann sich die Veränderungen in den Geschäftsfeldern perspektivisch einstellen werden, sich neue Geschäftsmodelle rentieren können und sich ein eingeschwungenen Zustand im neuen Geschäftsfeld-Portfolio einpendeln wird.
     
  • Die strategische Langfristplanung gibt zudem Auskunft zur Refinanzierbarkeit der hohen Investitionslast und zur absehbaren Entwicklung der Ausschüttungsfähigkeit.


Die Transparenz der Langfristplanung und die Erkenntnisse aus der ganzheitlichen Unternehmensplanung können dabei helfen, die Zielkonflikte in der Finanzierungsfrage zu lösen. Diese resultieren aus den Investitionsplänen des EVU zur Erreichung der Klimaziele, den Interessen der Gesellschafter (u.a. Kommunen) hinsichtlich bereits eingeplanter Ausschüttungen, und der Risikobewertung durch externe Kapitalgeber (u.a. Banken). Ein iterativer Projektansatz unterstützt dabei zusätzlich, den Investitionsplan zu priorisieren und Alternativszenarien aus Sicht der Finanzierung zu bewerten.

Zusammenfassung und Ausblick

EVU sind durch den Anpassungsdruck im Wärmemarkt gezwungen, ihre Strategie auch in anderen Geschäftsfeldern zu überprüfen und ganzheitlich auszurichten. Dabei ist in allen Geschäftsfeldern mit einem erhöhten Investitionsbedarf zu rechnen, der Zielkonflikte zwischen den Stakeholdern auslösen kann. Die finanziellen Risiken für die Gesellschafter können durch die Einführung einer langfristigen Unternehmensplanung erkannt und gesteuert werden.

 

[1] UBA 2024: UBA-Kommunalbefragung „Klimaschutz in Kommunen“ www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/klimaschutz-energiepolitik-in-deutschland/kommunaler-klimaschutz/uba-kommunalbefragung-klimaschutz-in-kommunen

[2] Agora Energiewende (2023): Ein neuer Ordnungsrahmen für Erdgasverteilnetze. Analysen und Handlungsoptionen für eine bezahlbare und klimazielkompatible Transformation.

 


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