19.06.2023 | Webmagazin 2023/03 Zeitvariable und dynamische Tarife: Eine neue Ära für Energieversorger ab 2025

Welche Chancen und Risiken ergeben sich bei der Umsetzung und was gilt es zu beachten? Anna Kohlmann | Sarah Roes
anna.kohlmann@bet-energie.de

Ab dem 1. Januar 2025 sind Energieversorger verpflichtet, zeitvariable oder dynamische Tarife einzuführen. Diese spannende Entwicklung ist sehr vielversprechend, bringt aber auch große Herausforderungen mit sich.
Sie sind ein innovativer Ansatz zur Integration flexibler Lasten in das Verteilnetz. Zeitvariable und dynamische Tarife sollen Anreize schaffen, das Verbrauchsverhalten an die Erzeugungssituation anzupassen und erfordern Veränderungen in der Energiebeschaffung, den Abrechnungsprozessen und dem Messwesen.

Was ist der Unterschied zwischen zeitvariablen und dynamischen Tarifen?

Dynamische Tarife ändern sich untertägig je nach aktuellen Bedingungen und Nachfrage am Energiemarkt, basieren auf Echtzeitinformationen über die Verfügbarkeit und den Preis von Strom und können von Lieferanten oder Erzeugern angeboten werden. Der Preis kann sich (viertel)stündlich oder sogar spontan ändern und hängt von verschiedenen Faktoren wie Angebot und Nachfrage an der Strombörse, Wetterbedingungen, lokaler Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen usw. ab. Damit soll ein Anreiz für Verbraucher geschaffen werden, ihr Verbrauchsverhalten untertägig anzupassen.

Zeitvariable Tarife basieren auf vordefinierten Zeitabschnitten, in denen sich die Preise ändern. Dabei sind grundsätzlich mehrere Tarifstufen für unterschiedliche Tageszeiten oder Wochentage, die zu Spitzenlastzeiten höher und zu Schwachlastzeiten niedriger sind und so Anreize zur Verbrauchsverlagerung schaffen.
 
Die Einführung von zeitvariablen oder dynamischen Tarife erfordert von den Energieversorgern eine Anpassung ihrer Systeme und Prozesse. Technische Grundvoraussetzung für die Umsetzung ist ein intelligentes Messsystem bzw. viertelstündliche Verbrauchszeitreihen. 

Energiebeschaffung und Preisgestaltung

Energieversorger müssen in der Lage sein, Preise und Verbrauchsdaten day ahead oder sogar in Echtzeit zu nutzen und zu übermitteln. Beispielsweise werden dem Endkunden am Vortag Preisprognosen für den nächsten Tag zur Verfügung gestellt. Die Abrechnung erfolgt auf Basis der aktuellen Marktpreise. Umlagen werden 1:1 an den Endkunden weitergegeben. Im Grundpreis sind in der Regel ein Entgelt für die Bereitstellung des intelligenten Messsystems, die fixen Abrechnungskosten und die tatsächlich anfallenden Netzentgelte enthalten. Das Risiko der Preisvolatilität wird somit auf den Endkunden ausgelagert, kann aber insbesondere in der Einführungsphase durch begleitende Regelungen wie Bestabrechnung oder Preisbegrenzung flankiert werden. 

Technologie

Für die Einführung eines zeitvariablen oder dynamischen Stromtarifs ist der Einsatz intelligenter Messsysteme entscheidend. Dies ermöglicht die Abrechnung von Preisen auf (viertel)stündlicher Basis. Sofern der Endkunde seine flexiblen Verbraucher nicht selbst über Zeitschaltuhren oder manuelle Eingriffe steuern möchte, kann ein Energiemanagementsystem (EMS) die vernetzten Anlagen, wie Photovoltaikanlage, Batteriespeicher, Wärmepumpe und Wallbox anhand der Preissignale optimieren. 

Datentransparenz

Wo bisher nur Abschlagspläne erstellt und eine Jahresabrechnung verschickt wurde, ist bei zeitvariablen und dynamischen Tarifen eine monatliche Abrechnung erforderlich. Je nach Anforderung müssen die benötigten Messdaten über den Universalbestellprozess beim Messstellenbetreiber angefordert werden. Die meisten IT-Systeme müssen für die Nutzung der Daten augferüstet werden. Auch die Visualisierung von Energiepreisen und Verbrauchszeitreihen in Richtung Endkunde erfordert eine Erweiterung der IT-Systeme, z. B. in Form einer Kunden-App oder eines Portals, damit der Endkunde die Abrechnung nachvollziehen kann. 

Kundenkommunikation

Endkunden werden zu aktiven Teilnehmern am Energiesystem. Zeitvariable und dynamische Tarife sind eine neue Möglichkeit, als Kunde selbst Einfluss auf die Energiekosten und die Nutzung erneuerbarer Energien zu nehmen und damit einen Beitrag zur Energiewende zu leisten. Allerdings wirft das neue Preismodell bei Endkunden viele Fragen auf. Es empfiehlt sich daher, die Vorteile und Risiken transparent zu kommunizieren, wie es das EnWG fordert und Tipps zur Anpassung des Verbrauchsverhaltens zu geben. Denn Ehrlichkeit schafft Vertrauen. Bewusst verschwiegene Risiken können zu einer negative Reputationen führen.  

Neben den genannten Herausforderungen bietet die Einführung dynamischer Tarife auch Chancen: 

Effizienzsteigerung und Netzstabilität

Dynamische Tarife bieten die Möglichkeit, den Energieverbrauch in Spitzenzeiten zu reduzieren, um eine bessere Auslastung der Energieinfrastruktur zu gewährleisten. Dies kann zu einer verbesserten Effizienz und Netzstabilität führen, da die Überlastung des Stromnetzes reduziert wird.
Förderung erneuerbarer Energien: Dynamische Tarife können Anreize für den verstärkten Einsatz erneuerbarer Energien schaffen. Durch die Anpassung der Tarife an die Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien können Endkunden zu einem nachhaltigeren Verbrauchsverhalten angeregt werden.

Fazit

Die Einführung zeitvariabler oder dynamischer Tarife stellt eine wegweisende Veränderung für die Energieversorger dar. Sie erfordert Investitionen in Technologie, Datenanalyse und Kundenkommunikation. Sie bieten aber auch die Chance, den Energieverbrauch zu optimieren, erneuerbare Energien zu fördern und die Energieinfrastruktur effizienter zu nutzen. In Kombination mit weiteren Produkten wie z.B. Energiedienstleistungen werden Energieversorger zu Serviceanbietern in allen Energiefragen rund ums Haus.
 


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