Was bedeutet das für die jährlichen EE-Ausbauzahlen bis 2030? PV muss ca. auf den 3-fachen Wert steigen (14 bis 15 GW pro Jahr), jedes Jahr Offshore-Windparks mit 2 bis 2,5 GW (also 4 bis 5 Parks mit je 400 bis 500 MW), jedes Jahr eine Offshore-Seekabelnetzanbindung mit 2 GW/525 kV, und mindestens 4 GW Nettozubau bei Wind-Onshore.
Die Herausforderung für die neue Regierung wird vor allem darin bestehen, wie Planungs- und insbesondere Genehmigungsprozesse beschleunigt werden können. An Investoren wird es bei klaren Rahmenbedingungen jedenfalls nach unserer Einschätzung nicht mangeln.
Kohleausstieg
BET hat zur Ermittlung der Tagebaufolgekosten beim Kohleausstieg umfangreiche Gutachten gemeinsam mit Wirtschaftsprüfern und Bergbauexperten vorgelegt. Ein schnellerer Ausstieg wird nun nochmals eine Anpassung der Tagebauplanungen nach sich ziehen. Exemplarische Herausforderungen z. B. im Rheinischen Revier sind sicherlich u. a. die Planung der Restseen, die Herkunft des Abraums zur Böschungsgestaltung und der Bau einer Rheinwasserüberleitung zur Befüllung in noch kürzerer Zeit.
Versorgungssicherheit durch Flexibilitätspotenziale und Gaskraftwerke
Der Versorgungssicherheit wird im Koalitionsvertrag ebenfalls ein wichtiger Stellenwert beigemessen. Der erwartete Anstieg des Bruttostromverbrauchs wird zu höheren Leistungsspitzen führen, umgekehrt sinkt durch den Kohleausstieg die steuerbare Leistung aus Großkraftwerken schneller. Hier wird die eine Herausforderung darin bestehen, in nur 8 Jahren Anreize zu setzen, um möglichst viele Flexibilitätspotenziale bei der Nachfrage zu heben, um die Nachfrage bestmöglich an das wetterabhängige Angebot anzupassen. Hier gilt es, insbesondere bei den dezentralen Geschäftsmodellen, die bestehenden Hemmnisse abzubauen, die eine netz- und systemorientierte Flexibilitätsnutzung derzeit noch behindern.
Die andere Herausforderung wird darin bestehen, den nach Nutzung der Flexibilitätspotenziale verbleibenden Bedarf an gesicherter Leistung durch neue Gaskraftwerke, die zudem jetzt schon für den späteren Einsatz von Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen ausgelegt sein müssen, bis 2030 zu decken. Hier erwarten wir eine intensive Diskussion über die weitere Ausgestaltung des Marktdesigns.
Klimaneutrale Übertragungsnetze
Die neue Koalition bekennt sich klar zum weiteren Netzausbau und zur Digitalisierung des Netzbetriebs. Auch hier wird sehr wichtig sein, die Planungs- und insbesondere Genehmigungsprozesse sehr deutlich zu beschleunigen. Die Ampelkoalition will sich auch für die dringend erforderliche, sektorübergreifende Netzplanung einsetzen, um eine Netzinfrastruktur für eine übergreifende klimaneutrale Energieversorgung zu schaffen. Ideen dafür wurden in der dena-Netzstudie III entwickelt, an der BET als Gutachter für die Methodenentwicklung eines künftigen Systementwicklungsplans intensiv mitgewirkt hat. Ebenso wird der Übergang zu einer kurativen Netzbetriebsführung einen Beitrag leisten. Welche Potenziale gehoben werden können und wie man so etwas künftig in der praktischen Systemführung umsetzen kann, ist Gegenstand des Forschungsprojektes InnoSys, in dem BET im Fachbeirat vertreten ist. Die Ergebnisse sollen zeitnah im Februar 2022 veröffentlicht werden.
Die Zukunft der Gasnetze
Interessant im Koalitionsvertrag ist auch ein Passus, welcher besagt, dass spätestens 2045 rechtssicher die Betriebsgenehmigungen für fossile Assets (Kraftwerke, Gasleitungen) so angepasst werden sollen, dass dann nur noch ein Betrieb mit nicht-fossilen Energieträgern möglich sein wird. Die Lösungen sollen dabei im Dialog mit den Unternehmen gefunden werden. Dies wird die Diskussion um die Zukunft der Gasnetze deutlich beflügeln. Den Gasversorgern stellen sich viele Fragen: Wo lohnen sich noch Investitionen in Gasnetze und wo ist ein Rückbau anzustreben? Bewerbe ich mich noch auf Gaskonzessionen? Wie gehe ich mit dem kalkulatorisch nicht abgeschriebenen Anlagevermögen um? Und vieles mehr.
Wärmewende
Auch die Wärmewende rückt stärker als bisher in den Fokus: 50 % der Wärmebereitstellung soll bis 2030 erneuerbar sein. Dies ist eine sehr große Herausforderung für die Fernwärmenetzbetreiber. BET hat auch 2021 viele Unternehmen mit Machbarkeitsstudien zur Dekarbonisierung der Fernwärme unterstützt. Ein wichtiges Instrument ist die kommunale Wärmeplanung, die zugleich auch über die Zukunft der Gasnetze mitentscheidet. Herausfordernd ist auch der Passus im Gebäudeteil des Koalitionsvertrages, wonach gemäß zu novellierendem GEG ab 2025 jede Heizung im Neubau zu mindestens 65 % mit erneuerbaren Energien betrieben werden soll.
Die größte Herausforderung ist der Gebäudebestand. Zum einen ergeben sich hier große Chancen für dekarbonisierte Fernwärmesysteme. Soweit dort die Wärmepumpe eine tragende Rolle für die Heizung bilden soll: Ein einfacher 1:1-Ersatz des fossilen Heizkessels durch eine Wärmepumpe reicht nicht aus. Vielmehr ist ein abgestimmtes Konzept von PV-Anlage, Wärmedämmung, Heizungsverteilung, Warmwasserbereitung sowie Wärmepumpe erforderlich. Die Handwerker und Architekten müssen dafür gewonnen werden, diese Konzepte zu entwickeln und das nötige Know-how hierfür aufzubauen. Wenige Anhaltspunkte finden sich in diesem Zusammenhang zu den Anforderungen an den zukünftigen Energieeffizienzstandard.
Digitalisierung und Prosumer
Die notwendige Dekarbonisierung des Gebäude- und Verkehrssektors kann nur erreicht werden, wenn die Zahl der flexiblen Prosumeranlagen mit PV-Anlagen, Wärmepumpen und Ladeeinrichtungen stark ansteigt. Zur Sicherstellung der Systemstabilität müssen diese Anlagen über eine umfassende Digitalisierung in das Energiesystem integriert werden. Kernpunkt der Systemintegration ist die effiziente Herstellung der Steuerbarkeit der Wärmepumpen und Ladeeinrichtungen.
Die neue Regierungskoalition bekennt sich zur zentralen Bedeutung des SMGW für die Digitalisierung und will den Rollout beschleunigen. Allein das Ausrollen von vielen SMGW reicht aber nicht, sondern wir benötigen ein Ökosystem für digitale Prosumerlösungen mit einer funktionierenden Prozesskette vom Backend der Vertriebe, Dienstleister und Netzbetreiber über das SMGW bis zu den flexiblen Endgeräten der Kunden. Die hierfür notwendigen Standardisierungsprozesse und Vorgaben haben in der Vergangenheit immer wieder gestockt.
Netzentgelt- und Umlagesystematik
Die neue Regierungskoalition will die dringende Reform der staatlich induzierten Preisbestandteile, d. h. des Netzentgelt- und Umlagesystems, nun zügig angehen. Ziel muss es sein, die Verzerrungen zwischen den verschiedenen Energieträgern, die derzeit noch zu Lasten des Stromsektors gehen, zu beseitigen und dafür zu sorgen, dass die optimale Marktallokation von Erzeugung und Verbrauchern nicht beeinträchtigt wird. Die EEG-Umlage soll gänzlich abgeschafft und durch eine steuerfinanzierte Lösung ersetzt werden. Letztendlich gehören aber alle Umlagen auf den Prüfstand.
Noch schwieriger gestaltet sich die Umgestaltung des Netzentgeltsystems. Hier gilt es zusätzlich noch, bestehende Netzkapazitäten optimal zu erschließen, Anreize für eine Vermeidung von ineffizientem Netzausbau zu setzen, eine faire Verteilung der Netzkosten und gleichzeitig die Flexibilitätsnutzung für den Markt optimal zu ermöglichen.
Da eine Reform des Netzentgelt- und Umlagesystems nicht ohne Umverteilungen möglich sein wird, sind hier intensive Debatten zu erwarten.
Fazit
Die nächsten Jahre werden nochmals einen gehörigen Schub bei der Transformation des Energiesystems erfordern, um die hohen Ziele zu erreichen: eine spannende, umfassende und interdisziplinäre Aufgabenstellung. Wir freuen uns darauf, Unternehmen, Regulierer und Ministerien hierbei umfassend entlang der Wertschöpfungskette weiterhin tatkräftig und engagiert zu unterstützen.
BET konnte in diesem Zusammenhang als Konsortialführer einen Beratungsrahmenvertrag mit dem BMWi gewinnen. Darüber hinaus arbeiten wir gemeinsam mit Energy Engineers und prisma consult in einem mehrjährigen Projekt zur integrierten und zukunftssicheren Energieversorgung in NRW im Auftrag der NRW.Energy4Climate. Dort führen wir in Teilen die Arbeiten der EnergieAgentur.NRW, die zum Jahresende aufgelöst wird, fort und ergänzen diese um Studien, Analysen sowie die Initiierung und Begleitung von Umsetzungsprojekten.
Der Weg zu einer 1,5°C Klimaneutralität ist ein umfangreicher und komplexer gesellschaftlicher Transformationsprozess zu einer nachhaltigen Volkswirtschaft. Wir müssen uns von manch altem Zopf verabschieden, mutig neue Wege ausprobieren und gleichzeitig darauf achten, soziale Härten abzufedern: eine gesellschaftspolitische Kraftanstrengung, die über eine einzelne Legislaturperiode hinaus unser aller Engagement erfordern wird.